28. WOLFGANGSEE

DAS „WEISSE RÖSSL“ GALOPPIERT FÜR DEUTSCHLAND
Am Wolfgangsee mit den Seegemeinden St. Gilgen, Strobl und St. Wolfgang war die Zahl jüdischer Sommerfrischler und damit auch die Zahl der Enteignungen entsprechend hoch: Eine illustre Gesellschaft aus Ministern, einem KZ-Kommandanten, einem SS-Major und Hitlers Lieblingsmaler balgte sich um die leerstehenden Villen. Ihre ehemaligen Besitzer landeten im Exil oder im KZ. Das „jüdische“ „Weiße Rössl“ wurde mit einem Hakenkreuz gebrandmarkt.
Die Mischung aus kristallklaren Seen, Bergen und idyllischen Dörfern ließ das Salzkammergut für erholungssüchtige Stadtbewohner zum Anziehungspunkt werden. Der Wolfgangsee blieb auch nach dem Zusammenbruch der Monarchie und des „Kaisertourismus“ im nahen Bad Ischl durch die Nähe zur Festspielstadt Salzburg attraktiv. St. Gilgen war mit über 30 Liegenschaften eine der begehrtesten „Kolonien“ für jüdische Eigentümer, vor allem aus Wien. Diese waren besonders von den Enteignungen betroffen, die ranghohe Nazis ab 1938 veranstalteten. Der Antisemitismus vertrieb 1938 die jüdischen Künstler der „Zinkenbacher Malerkolonie“ rund um Georg Ehrlich, Bettina Bauer-Ehrlich, Leo Delitz, Georg Merkel und Ferdinand Kitt, die sich regelmäßig beim Adambauern trafen. „Während der Gnadenfrist, die Österreich noch hat, sitzen sie hier zusammen in einem Boot. ,Arier‘ und ,Nichtarier‘,
die völkischen Kunstschaffenden und die ,Entarteten‘“, sagte Kitt. Hass vertrieb auch die Schriftsteller Marie von Ebner-Eschenbach, Leo Perutz, Richard Beer-Hofmann, der der Zeit in St. Gilgen in „Paula. Ein Fragment“ eine wehmütige Erinnerung widmete, und den kommunistischen Dichter Ernst Toller, der später in New York Selbstmord beging.

Nach dem Anschluss 1938 brachen alle Barrieren: Hans Loritz, von 1936 bis 1939 Kommandant des KZ Dachau, ließ sich in St. Gilgen eine Luxusvilla von Häftlingen errichten. Sein Nachfolger, Alex Piorkowski, machte Druck, um eine ehemals jüdische Villa zu „arisieren“, was aber nicht gelang. Schon bald hieß es im Auswärtigen Amt: „Um die wenigen in St. Gilgen zur Verfügung stehenden Villen ist ein ungeheurer Kampf entbrannt.“ Die Gemeinde St. Gilgen wollte bei diesem Raubzug nicht nachstehen – Nazibürgermeister Johann Kogler „arisierte“ die Villa Oskar Kaufmanns, damals Präsident der rumänischen Nationalbank, für die Gemeinde. Um die Villa „Billiter“ stritten ein KZ-Kommandant, ein Generaloberst, ein SS-Major und der deutsche Generalkonsul von Mailand. Alle gingen leer aus, das Haus erhielt schließlich die Witwe des Reichsministers Hans Kerrl. Der Adjutant des Gauleiters Rainer, Leo Kreiner, stritt vergeblich um die „arisierte“ Villa von Gertrude Steinreich in St. Gilgen, den Zuschlag bekam der Salzburger Kunsthändler Friedrich Welz. In die Villa der Argentinier Federico und Vera Guth zog 1943 der Lieblingsmaler Hitlers, Paul Mathias Padua, ein.

St. Wolfgang mit dem weltberühmten „Weißen Rössl“ war als Tourismusort nicht weniger beliebt. Auch das Klima Juden gegenüber war ähnlich: „Nicht erfreulich wirken im Sommer die meisten jüdischen Fremden“, vermerkte das katholische Dekanat Bad Ischl über St. Wolfgang. 1896 entstand auf der Terrasse des gleichnamigen Hotels Ralph Benatzkys „Im weißen Rößl“, ein weltweit bekanntes Musical, das in London 650-mal en suite gespielt wurde und als „White Horse Inn“ am Broadway reüssierte. Wegen seiner jüdischen Ehefrau musste Benatzky Österreich verlassen. Die Nazis verdächtigten sogar fälschlicherweise ihn selbst, er sei Jude. Wegen der jüdischen Koautoren verboten die Nazis die Aufführung des beliebten Stückes. Benatzky war im amerikanischen Exil nicht mehr gefragt und starb gebrochen in der Schweiz. Er ist in St. Wolfgang begraben.

In diesem Umfeld bewegte sich auch der Schauspieler Emil Jannings, der erste Oscarpreisträger der Geschichte (1927). Jannings erwarb eine feudale Villa in Abersee auf halbem Weg zwischen St. Gilgen und Strobl. Er galt als enger Vertrauter von Göring. Wenig Skrupel kannte Jannings, als er einen Kollegen denunziert und seinen Nachbarn in Abersee mithilfe des Gauleiters und Reichsstatthalters Friedrich Rainer dazu gezwungen haben soll, dessen Besitz in Abersee weit unter Wert an ihn zu veräußern. Dem TOBIS-Produktionsleiter Ewald von Demandowsky verschaffte Jannings eine „arisierte“ Villa in St. Gilgen. Unweit von St. Gilgen, in Scharfling (Mondsee), lebte der Schauspieler Werner Krauss, der im antisemitischen Hetzfilm „Jud Süß“ (1940) die Hauptrolle spielte. Zwischen 1933 und 1935 war er stellvertretender Präsident der Reichstheaterkammer. Er wurde 1946 aus Österreich ausgewiesen, jedoch als „minderbelastet“ eingestuft und konnte seine Karriere auf der Bühne fortsetzen. (cs)

LITERATURTIPPS:

Michael John: Antisemitismus in Oberösterreich. Linz 1993.

Albert Lichtblau: „Ein Stück Paradies …“ Jüdische Sommerfrischler in St. Gilgen, in: Robert Kriechbaumer (Hg.): Der Geschmack der Vergänglichkeit. Jüdische Sommerfrische in Salzburg. Wien, Köln, Weimar 2002.


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