32. „THINGSTÄTTE“ ANIF

KÄMPFER FÜR DEN „FÜHRER“
Gegenüber von Gasthaus und Hotel Friesacher an der Straße Richtung Salzburg befindet sich ein unscheinbar wirkender Gedenkstein. Dieser wurde 1937 von der Familie Friesacher in Erinnerung an eine sogenannte „Thingstätte“ (ein Ort für altgermanische Volks- und Gerichtsversammlungen) errichtet. Eingebettet in den Germanenkult der Nazis, entstanden bereits vor Beginn des Dritten Reichs solche „Thingstätten“. Und in Anif gab es schon Anfang der 1930er-Jahre sehr aktive „Kämpfer für die Idee des Führers“, die nach 1938 rasch Karriere Machten.
Seit Anfang der 1930er-Jahre kontrollierten die Nationalsozialisten zunehmend die Salzburger Lokalpolitik, so auch in Anif. Im April 1933 erklärte die Gemeinde Adolf Hitler zum Ehrenbürger, die Bezirkshauptmannschaft hob diesen Beschluss jedoch wieder auf. An der Spitze der „Kämpfer“ stand seit 1931 Michael Friesacher, dessen Bauernhof und Gasthaus ein „Treffpunkt der illegalen Kämpfer“ war, wie die „Salzburger Landeszeitung“ anlässlich der Bestellung Friesachers zum „Landesbauernführer“ im November 1942 berichtete. Auch Schulleiter Ferdinand Kohlbacher und der in Hellbrunn geborene Brauchtumspfleger Kuno Brandauer bemühten sich eifrig um die Verbreitung dieser „Ideen“. Friesacher wurde im Februar 1934 gemeinsam mit anderen illegalen Nazis verhaftet und in das Anhaltelager Kaisersteinbruch in Niederösterreich überstellt. Als die Anifer von der Verhaftung erfuhren, kam es zu Ausschreitungen. Demonstranten forderten vor dem Gendarmerieposten die Freilassung Friesachers, zogen weiter zur Villa des Schriftstellers Joseph August Lux, dem man die Schuld an der Festnahme Friesachers gab, und zertrümmerten dort Fenster. Nach dem gescheiterten NS-Putsch im Juli 1934 flüchteten illegale Nazis aus Anif und Grödig über das Untersberg- und Rossfeldgebiet nach Deutschland.

Nach dem „Anschluss“ machten Michael Friesacher und andere „Mitkämpfer“ rasch Karriere. Friesacher wurde zunächst „Kreisbauernführer“, dann „Leiter des Gauamts für das Landvolk“ und damit „engster Mitarbeiter des Gauleiters in agrarpolitischen und Bauerntumsfragen“ und schließlich „Landesbauernführer“, wie aus zeitgenössischen Presseberichten bekannt ist. Kuno Brandauer arbeitete ab 1938 als offizieller „Brauchtumspfleger“ im Reichsgau Salzburg. „Deutsche Volkskultur“ und „echte Volksmusik“ spielten eine zentrale Rolle in dieser Propaganda. „Vergessen“ wurde, dass Volksmusik seit dem ausgehenden Mittelalter oft auch subversiven Charakter hatte. Sie war aufmüpfig, sexuell anzüglich und verherrlichte vieles, nur nicht die Obrigkeit. Doch nun standen Brauchtum und Volkskultur im Dienste der NS-Diktatur. „Die beste Waffe gegen das jüdische Gift“, formulierte der „Volksliedpfleger“ Tobias Reiser sen. 1941, „ist das Heimatbrauchtum“. Reiser sen. war seit Jahren mit Brandauer und Friesacher bekannt, der ihn der Gauleitung empfahl. Gauleiter Gustav-Adolf Scheel, der Lehrer, Schriftsteller und NS-Ideologe Karl Springenschmid sowie Brandauer gründeten 1942 das „Heimatwerk“, eine Dachorganisation für alle Bereiche der „Volkskultur“. Nach 1945 lebte die „Volkskultur“ in einem eigenen Ressort der Landesregierung, im „Salzburger Adventsingen“ und im „Salzburger Heimatwerk“, wo heute hochwertige Handwerksprodukte und Trachten verkauft werden, weiter. Brandauer, Reiser und Springenschmid mischten nach erfolgreicher „Entnazifizierung“ wieder tatkräftig bei der Erhaltung des „Salzburger Brauchtums“ mit.

Zurück zum Anifer Alltag unterm Hakenkreuz: Joseph August Lux wurde von der Gestapo als „klerikal-austrofaschistischer“ Schriftsteller verhaftet und mit dem ersten „Prominententransport“ nach Dachau deportiert. Nach seiner Freilassung aus dem KZ erhielt er Publikationsverbot. Die Gemeinde Anif mit Bürgermeister Franz Eibl bewarb sich um die „arisierte“ Villa Hungaria von Lola und Adolf Kriegel. Auch an der Villa der seit 1919 in Anif lebenden Künstlerin Helene von Taussig zeigte sich die Gemeinde interessiert. Die Gestapo zwang Taussig, ihr gesamtes Hab und Gut zurückzulassen und nach Wien zu übersiedeln. Sie weigerte sich allerdings bis zuletzt, einem Verkauf zuzustimmen. Die Gemeinde Anif und „verdiente“ NS-Funktionäre stritten sich um die Liegenschaft, bis nach zahlreichen Interventionen der Schwiegervater des Kunsträubers Kajetan Mühlmann den Zuschlag erhielt. Helene von Taussig erlebte die Befreiung nicht mehr, sie war 1942 nach Izbica deportiert und ermordet worden. 2002 widmete das „Salzburg Museum“ der Künstlerin eine Ausstellung. (sr)

LITERATURTIPPS:

Ernst Hanisch: Gau der guten Nerven – Die nationalsozialistische Herrschaft in Salzburg 1938–1945. Salzburg, München 1997.

Heinz Dopsch, Ewald Hiebl (Hg.): Anif. Kultur, Geschichte und Wirtschaft von Anif, Niederalm und Neu-Anif. Anif 2003.

Roland Floimair (Hg.): Von der Monarchie bis zum Anschluss – Ein Lesebuch zur Geschichte. Salzburg 1993.

Albert Lichtblau: „Arisierungen“, beschlagnahmte Vermögen, Rückstellungen und Entschädigungen in Salzburg. Wien, München 2004.


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