47. SCHLOSS MITTERSILL

FORSCHUNGSZENTRUM DES RASSENWAHNS
Das dem „SS-Ahnenerbe“ unterstellte „Sven-Hedin-Institut für Innerasien und Expeditionen“ zog 1943 in Schloss Mittersill ein. Leiter dieses Instituts war der
Anthropologe Ernst Schäfer, der gemeinsam mit dem Zoologen Eduard Paul Tratz die Tibet-Schau im Salzburger Haus der Natur zusammenstellte. KZ-Häftlinge mussten in dem als Nebenlager von Mauthausen geführten Institut arbeiten, in dem 1944 menschliche Schädel gelagert wurden, deren Herkunft bis heute nicht geklärt ist. Gegen Kriegsende diente das Schloss als Depot für Raubkunst.
Der mit dem SS-Totenkopfring und dem „Ehrendegen“ ausgezeichnete SSler und Anthropologe Ernst Schäfer, Leiter der sogenannten „Schäfer-Expedition“ nach Tibet 1938/39, zog 1943 in das renovierte Schloss Mittersill ein. Himmler hatte das aus dem 12. Jahrhundert stammende und im Jahr 1938 durch Blitzschlag beschädigte Schloss für die SS angemietet, das sich im Eigentum des „Sports and Shooting Club“ befand. Mitbegründer des Clubs und ehemaliger Schlossherr Hubert von Pantz hatte durch seine Affäre mit Coco Chanel Bekanntheit erreicht und illustre Gäste wie das niederländische Königspaar nach Mittersill geholt. Dann kam die SS. Schäfer erhielt von Himmler „Sonderaufträge“, darunter die Erforschung der innerasiatischen Bevölkerung und Ressourcen, die dem Dritten Reich und der Kriegswirtschaft zugute kommen sollten. Das „Sven-Hedin-Institut für Innerasien und Expeditionen“, im Januar 1943 zu Ehren des schwedischen Tibetforschers Sven Hedin in München gegründet, zeichnete mitverantwortlich für die im Februar 1943 eröffnete Tibet-Schau im Salzburger Haus der Natur. In Mittersill beabsichtigten das „SS-Ahnenerbe“ und Schäfer eine Ausbildungsschule für Expeditionsteilnehmer nach Innerasien aufzubauen, der Gau Salzburg bekundete seine Bereitschaft, das Habachtal für diese Zwecke zur Verfügung zu stellen. Im steirischen Schloss Lannach entstand eine dem Reichsinstitut in Mittersill unterstellte „Ahnenerbe“-Abteilung für Pflanzengenetik – heute Familiensitz des früheren Wirtschaftsministers Martin Bartenstein, der von der Vorgeschichte Lannachs nichts gewusst haben will. Ab 24. März 1944 arbeiteten 15 weibliche Häftlinge aus dem KZ Mauthausen in Mittersill, ein Teil der Frauen wurde weiter nach Lannach transportiert.

Bis heute nicht geklärt ist die Herkunft der 1944 in Mittersill gelagerten „Judenschädel“. Der Anthropologe Bruno Beger, Teilnehmer der „Schäfer-Expedition“ und Mitarbeiter in Schloss Mittersill, reiste im Sommer 1943 ins KZ Auschwitz und wählte polnische, jüdische und „innerasiatische“ Häftlinge für Versuche im Rahmen anthropologischer Schädel- und Körpervermessungen aus. 86 von ihnen ließ der Straßburger Anatom August Hirt ins KZ Natzweiler-Struthof bringen und dort ermorden. Die Skelette und Schädel der Ermordeten dienten Anatomen und Anthropologen als „Forschungsmaterial“ – ein Teil der Schädel dürfte sich auf Schloss Mittersill befunden haben, denn ein Mitarbeiter Schäfers beschwerte sich im Juni 1944 über die „Judenschädel“, die hier nur „herumstehen“ würden. Was weiter mit den Schädeln geschah, liegt im Dunkeln. Der Geschäftsführer des „SS-Ahnenerbes“, Wolfram Sievers, beauftragte Beger im Februar 1945, alle Akten, „die mit der Angelegenheit Auschwitz/Hirt in Verbindung stehen, sofort und restlos zu vernichten“.

Anfang 1945 brachte Schäfer in Westsibirien beheimatete Przewalski-Pferde nach Mittersill, da Himmler eine Pferdezucht für seine „Ostbesiedlung“ aufbauen wollte, doch der Zusammenbruch des Dritten Reichs stand unmittelbar bevor. Gegen Kriegsende diente Schloss Mittersill als Depot für wertvolle niederländische und französische Meisterwerke, die als Raubkunst über die „Dienststelle Mühlmann“ nach Salzburg kamen. Die US Army befreite am 8. Mai 1945 die KZ-Häftlinge auf Schloss Mittersill und sicherte die Kunstwerke und das verbliebene Forschungsmaterial des „Sven-Hedin-Instituts“. Von Schädeln war in den Unterlagen keine Rede mehr. Im Mai 1946 übergab die US Army Teile der Mittersiller „Sven-Hedin-Collection“ an das Haus der Natur. Die US-Militärbehörden machten die ehemaligen Eigentümer der aus den Niederlanden, Belgien und Frankreich stammenden Kunstwerke ausfindig und restituierten diese. Ernst Schäfer wurde von einem Gericht als „Mitläufer“ eingestuft und kam nach kurzer Haft wieder frei. Er konnte seine wissenschaftliche Karriere in Deutschland fortsetzen. Bruno Beger lebte bis in die 1970er-Jahre unbehelligt in Deutschland, 1974 verurteilte ihn ein Frankfurter Gericht wegen Mitwisserschaft an 86-fachem Mord zu einer Haftstrafe, die er aber nie antreten musste.

Der „Sports and Shooting Club“ übernahm Schloss Mittersill nach 1945 wieder und führte es als Hotel, Stars wie Bob Hope, Clark Gable, Aristoteles Onassis oder der Schah von Persien verbrachten hier ihre Ferien. Heute ist das Schloss ein Konferenzzentrum. (sr)

LITERATURTIPPS:

Michael H. Kater: Das „Ahnenerbe“ der SS 1935–1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches. München 1997.

Gerald Lehner: Zwischen Hitler und Himalaya. Die Gedächtnislücken des Heinrich Harrer. Wien 2006.

Oskar Dohle, Nicole Slupetzky: Arbeiter für den Endsieg. Zwangsarbeit im Reichsgau Salzburg 1939–1945. Wien, Köln, Weimar 2004.


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