35. SCHLOSS BLÜHNBACH

KÖNIGE DER KANONEN
Schloss Blühnbach bei Werfen war einst im Besitz der Familie Krupp, Europas „Kanonenkönigen“. Unter Hitler konnten die Krupps sich aus Hunderttausenden Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen – 40 Prozent der Belegschaft im Jahr 1943 – und Tausenden KZ-Häftlingen bedienen. „Die Leute brechen zusammen und gehen ein“, bedauerte das Unternehmen in einem Tagesbericht.
Schloss Blühnbach, malerisch am Talschluss des Blühnbachtales vor den imposanten Felswänden des Hagengebirges gelegen, diente den Eigentümern des deutschen Friedrich-Krupp-Konzerns (seit 1999 „Thyssen-Krupp AG“) als Sommersitz. Das spätere Familienhaus der Essener Stahlkocher war 1908 von Erzherzog Franz Ferdinand erworben und in der Folge renoviert worden. Der Thronfolger fand bekanntlich 1914 im Attentat von Sarajevo den Tod. Dieses Ereignis löste den Ersten Weltkrieg aus, eine Situation, die Waffenhersteller wie die Krupps geschäftlich überaus schätzen. Es mutet daher wie eine Ironie der Geschichte an, dass die Krupps, die im zivilen Bereich mit dem Radreifen für Eisenbahnen und der Erfindung des Nirosta-Stahls, im militärischen Bereich vor allem mit Geschützen („Dicke Berta“) zu einem enormen Vermögen gekommen waren, 1916 das Schloss erwarben.

Die Verwendung von Zwangsarbeitern in den Krupp’schen Rüstungswerken ist ausreichend dokumentiert. Um 1943 wurden 50.000 ausländische Arbeiter, 12.000 KZ-Häftlinge, so viele wiekaum anderswo, ohne ausreichende Nahrung in den Krupp-Werken und -Werften zur Schwerstarbeit gezwungen. Bei „Vergehen“ drohten Folterzellen („Stehbunker“). Krupp von Bohlen und Halbach war SS- und NSDAP-Mitglied und wie sein Vater Wehrwirtschaftsführer und Mitglied des Rüstungsrats. 1948 wurde er wegen Sklavenarbeit und Plünderung von Wirtschaftsgütern verurteilt. Nach den Worten des US-Chefanklägers vor dem Internationalen Militärgerichtshof Robert H. Jackson waren die „Kanonenkönige“ Krupp seit 100 Jahren „Symbol und Nutznießer der unheilvollen Kräfte, die den Frieden Europas bedrohten“.

Die 7th Army durchsuchte nach Kriegsende Blühnbach, um belastendes Material zu finden. Die Militärs fanden im Schloss den schwerkranken Gustav Krupp von Bohlen und Halbach vor, der den Konzern 37 Jahre geleitet hatte. Er wurde ins Posthaus des Schlosses ausquartiert und starb 1950 in Blühnbach. Zuvor hatten die Amerikaner dem Dementen noch die Anklageschrift aufs Krankenbett gelegt, in der er neben Göring und Kaltenbrunner als Hauptkriegsverbrecher angeklagt war. Das Schloss wurde in ein Flüchtlingsheim mit 80 Zimmern umgewandelt.

Unternehmenserbe Arndt von Bohlen und Halbach (1938–1986) verzichtete 1966 gegen eine jährliche Apanage und ein stattliches Immobilienvermögen auf Erbe und Namen und überließ Berthold Beitz die Unternehmensführung. Sein Vermögen übertrug er einer gemeinnützigen Familienstiftung. 1969 heiratete er, obwohl offenkundig homosexuell, in der Kapelle von Schloss Blühnbach Henriette von Auersperg. Bekannt wurde er als internationaler Jetset-Löwe, seine andere Seite war die eines großzügigen Spenders für die Armen. Vielzitiert sind seine Aussprüche hinsichtlich „Arbeit“ und täglichem „Klimpergeld“, das mehreren Durchschnitts-Monatslöhnen entsprach. Im Alter von 48 Jahren starb er hochverschuldet an Mundkrebs. Angelehnt an sein Leben drehte Luchino Visconti „Die Verdammten/ The Damned“ (1969) mit Helmut Berger in der Hauptrolle.

Schloss Blühnbach wurde von der Stiftung 1988 an den amerikanischen Industriellen Frederick R. Koch verkauft, der es privat nutzt. Koch Industries Inc. ist ein Weltkonzern mit 80.000 Mitarbeitern. Das Betreten des Areals ist nicht gestattet. (cs)

LITERATURTIPPS:

Lothar Gall: Krupp. Berlin 2000.

Hanns-Bruno Kammertöns: Der letzte Krupp. Hamburg 1998.


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