52. ST. PANTALEON-WEYER

DIE DUNKLE SEITE DER HEIMAT
Unweit des Innviertler Ferienortes Ibm und seinen wunderschönen Seen betrieb die Deutsche Arbeitsfront (DAF), der NS-Einheitsverband der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, bei St. Pantaleon-Weyer ein berüchtigtes „Arbeitserziehungs- und Zigeuneranhaltelager“. Es befand sich an der Landesgrenze Oberösterreichs zu Salzburg und ist ein gutes Beispiel für den Umgang vieler Gemeinden und Städte mit der NS-Geschichte. Erst im Jahr 2000 konnte eine Gedenkstätte für die Opfer eröffnet werden. Hätten nicht ein paar couragierte Bewohner St. Pantaleons eine Initiative zur Aufarbeitung der dunklen Seite der „Heimatgeschichte“ gestartet, wäre alles beim Alten geblieben.
In das Arbeitserziehungslager St. Pantalaeon-Weyer konnten alle der NS-Obrigkeit unliebsamen männlichen Personen gebracht werden. Der NS-Gauleiter von „Oberdonau“, August Eigruber, informierte im September 1940 alle Bürgemeister des „Reichsgaus Oberdonau“ über die Funktion des seit Juli bestehenden Lagers: „Eingeliefert können solche Volksgenossen werden, die die Arbeit grundsätzlich verweigern, die dauernd blaumachen, am Arbeitsplatz fortwährend Unruhe stiften oder solche, die überhaupt jede Annahme einer Arbeit ablehnen, obwohl sie körperlich dazu geeignet sind. Sie müssen aber alle das 18. Lebensjahr erreicht haben. Auch asoziale Betriebsführer sind inbegriffen. Nur Fälle krimineller Natur können hieramts nicht behandelt werden. Und Schwerinvalide, weil schwere körperliche Arbeit geleistet werden muß.“

Die im Lager inhaftierten Männer wurden von SA-Männern der Gruppe „Alpenland“ bei der Zwangsarbeit, der Entwässerung des Gebietes Ibm-Waidmoos, beaufsichtigt, geschlagen, in die Moosach getrieben, bis sie vor Erschöpfung fast ertranken, und so schwer misshandelt, dass sie an den Verletzungen starben. Der damalige Gemeindearzt von St. Pantaleon – als Lagerarzt fälschte er lange Zeit Todesursachen – zeigte schließlich einen Mord beim Kreisgericht in Wildshut an. Die Staatsanwaltschaft in Ried nahm Ermittlungen auf und stellte zahlreiche Verstöße der Lagerleitung und der Wachmannschaften fest, da es nicht nur zu „Totschlag“ gekommen war, sondern auch zu Erpressung, gefährlicher Drohung gegen die umliegende Bevölkerung und auch Jugendliche unter 18 Jahren eingeliefert worden waren. Anfang 1941 wurde das Lager von der DAF überstürzt geschlossen, in ein „Zigeuneranhaltelager“ umfunktioniert und Polizisten als Bewacher eingestellt. Die inhaftierten Männer wurden nun ebenfalls zu Arbeiten in Ibm-Waidmoos eingesetzt, Frauen und Kinder halfen den Bauern bei der Ernte. Den Roma und Sinti wurde jede medizinische Hilfe verweigert, angegebene Todesursachen wie „Lebensschwäche“ oder „Herzkollaps“ bei Kindern und „Herzfleischentartung“ bei einer Frau brauchen keinen Kommentar. Das jüngste Opfer war ein Kind namens Rudolf Haas, das im Lager geboren wurde und nach fünf Wochen starb. Im Herbst 1941 kam es zur Auflösung des Lagers, die überlebenden gut 300 Roma und Sinti wurden im Schnee – spärlich bekleidet und die meisten ohne Schuhe – in Viehwaggons verladen und über das burgenländische „Zigeunerghetto“ Lackenbach nach Lodz gebracht. Wer nicht im Ghetto starb, wurde schließlich in Chelmno vergast. Zurück kehrte niemand.

Vor Kriegsende vernichtete die Gemeinde St. Pantaleon belastende Akten, über Jahrzehnte hüllten sich die betroffenen Gemeinden in Schweigen. In den Ortschroniken sind zwar die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs erwähnt, aber nicht die Existenz des Lagers und ihre Opfer. Der Zeithistoriker Andreas Maislinger und der Schriftsteller Ludwig Laher nahmen sich des Themas an. Die nach langen Bemühungen im Jahr 2000 errichtete Erinnerungsstätte befindet sich auf dem Gelände der ehemaligen Kläranlage St. Pantaleon unweit der Moosach. Ludwig Laher veröffentlichte 2001 den Roman „Herzfleischentartung“, eine detaillierte Analyse der Vorgänge in St. Pantaleon-Weyer und des gesellschaftlichen Systems der NS-Zeit mit ihren Auswirkungen bis in die Gegenwart. (sr)

LITERATURTIPPS:

Andreas Maislinger: Ergänzung einer Ortschronik. „Arbeitserziehungslager“ und „Zigeunersammellager“ Weyer (Innviertel), in: Österreich in Geschichte und Literatur mit Geographie, Wien (1988), Nr. 3/4, S. 174-181.

Ludwig Laher: Ein Mahnmal für NS-Opfer in St. Pantaleon – Das Arbeits- und Zigeuneranhaltelager St. Pantaleon-Weyer. Ergänzung einer Ortschronik, in: Betrifft Widerstand, Verein Widerstandsmuseum Ebensee (2000), Nr. 52, S. 11–13.

Ludwig Laher: Herzfleischentartung. Innsbruck 2001.


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