|
 |
 |
|
|
In die von Touristikern weltweit verbreiteten Klischees
der Region Salzburg passt nicht, dass sich wenige Kilometer
von der barocken Kulturstadt entfernt Hitlers
globale Machtzentrale befand. Die geopolitische Bedeutung
des Obersalzberges bei Berchtesgaden im Zweiten
Weltkrieg wird in den meisten Reiseführern verschwiegen
oder nicht näher erläutert. |
|
Im August 1939 erlebte Hitlers Entourage auf dem Obersalzberg
einen bizarren Freudentaumel des Diktators, der sich schon in
der Endphase seiner Kriegsplanung befand. Hitler hatte über Kurzwellenfunk
von seinem Außenminister Ribbentrop aus Moskau
erfahren, dass Stalin sein Angebot zum sogenannten „Nichtangriffspakt“
mit der Sowjetunion angenommen habe. Nun hatte
Hitler freie Hand. Schon am 1. September marschierten deutsche
Truppen in Polen ein, was durch den absehbaren Widerstand
Großbritanniens und Frankreichs den Zweiten Weltkrieg auslöste.
Ungeachtet der „Freundschaft“ mit Stalin überfiel Hitler im Juni
1941 auch die Sowjetunion und brach hinter den Fronten den
größten Massenmord der Weltgeschichte vom Zaun, dem nach
britischen Schätzungen allein 18 Millionen russische Zivilisten zum
Opfer fielen. Insgesamt verzeichnete die Sowjetunion 26 Millionen
Kriegstote bis 1945.
Am 19. November 1942, als Hitlers 6. Armee unter General
Paulus bei Stalingrad von sowjetischen Verteidigern eingekesselt
wurde, befand sich Hitler wie so oft nicht in Berlin. Als die Nachricht
eintraf, schlief er sich auf dem Obersalzberg nach einer seiner
langen Nächte an den Landkarten aus. Als man ihn geweckt hatte,
bekam er einen Tobsuchtsanfall auf der Terrasse seines Anwesens.
Am 22. November reiste er in seinem Sonderzug von Berchtesgaden
nach Leipzig, und von dort weiter in die „Wolfsschanze“
nach Polen. Hitler schob die Schuld an Stalingrad seinen Generälen
zu, ahnte aber längst, dass diese Niederlage das deutsche Kriegsglück
generell beenden würde. Dennoch oder gerade deswegen
verbot er Zehntausenden deutschen und österreichern Soldaten
seiner 6. Armee den Gang in die Gefangenschaft. Durch militärisch
sinnlose Befehle hetzte er sie bei Stalingrad in den sicheren Tod,
eine Tragödie, der bis zur Befreiung Europas vom Nationalsozialismus
noch viele folgen sollten.
Kurz vor Kriegsende saß Hitler noch lebend in seinem Berliner
„Führerbunker“, als britische Lancaster-Bomber am 25. April 1945
den Obersalzberg mit 1300 Bomben angriffen und das nahe Berchtesgaden
verschonten. Dabei wurde neben der SS-Kaserne sein
Berghof so schwer beschädigt, dass er später abgerissen werden
musste. Hitler hatte das ursprünglich kleine Haus 1933 aus den
Tantiemen für sein Buch „Mein Kampf“ gekauft. Früher hatte es
„Haus Wachenfeld“ geheißen und der Witwe eines Lederwarenfabrikanten
aus Buxtehude gehört, die sich hier oft zur Sommerfrische
aufhielt. 1928 hatte sich Hitler hier erstmals eingemietet.
Komplizen siedeln sich an,
Drohungen gegen Einheimische
Nachdem sich Hitler 1933 auf dem Obersalzberg niedergelassen
hatte, strömten immer mehr seiner Anhänger in die Region. Von
Einheimischen wurden sie als „Wallfahrer“ verspottet. Wenig
später ließ Hitler seinen Berghof großzügig ausbauen. Um das
repräsentative Anwesen gruppierten sich Häuser von Martin
Bormann, Hermann Göring und Albert Speer sowie ein Gästehaus,
die Kaserne der SS-Bewachungsmannschaft, ein Gutshof mit
Gewächshaus, ein Pferdegestüt und unterirdische Bunker.
Dass die Größen des Regimes hier residierten, ging auf Kosten
der lokalen Bevölkerung. Zuerst hatte man den Bewohnern für
Grundstücke und Häuser noch Preise über dem Marktwert angeboten.
Als sich viele weigerten, kam die Mühle der Gewalt schnell
in Gang. Nach massiven Drohungen verkauften die meisten oder
wurden enteignet; insgesamt 57 Grundbesitzer. Der Fotograf
Hans Brandner weigerte sich und protestierte bei Hitler. Einen Tag
später deportierte ihn die Gestapo ins Konzentrationslager Dachau.
Nach zwei Jahren Haft, die er nur knapp überstand, wurde er auf
Bitten seiner Verwandtschaft entlassen und als Soldat an die Front
geschickt. Brandner fiel in der Sowjetunion.
Hitler verbrachte mehrere Monate im Jahr durchgehend auf dem
Obersalzberg und führte die Regierungsgeschäfte. Hier empfing
er – wie im Salzburger Schloss Kleßheim – zahlreiche Politiker
und Regierungschefs: David Lloyd George, Marqués de Magaz,
Arthur Neville Chamberlain, André François-Poncet, Carol II. von
Rumänien, Ante Pavelic und Kurt Schuschnigg. Seine Geliebte Eva
Braun, inoffizielle „Hausherrin“ auf dem Obersalzberg, lud oft ihre
Verwandten und Freunde auf den „Berg“ ein, wenn sich Hitler
in Berlin, München oder im militärischen Hauptquartier „Wolfsschanze“
in Polen aufhielt.
Auf Anregung von Hitlers Sekretär Martin Bormann finanzierte
die NSDAP zu Hitlers 50. Geburtstag ein besonderes Geschenk. Auf
dem Kehlstein über dem Obersalzberg wurde das bis heute intakte
Kehlsteinhaus gebaut („Hitlers Teehaus“, „Eagle’s Nest“), das
nicht nur wegen seiner grandiosen Aussicht mittlerweile jährlich
von mehr als 500.000 Besuchern frequentiert wird. Beim Bau in
den 1930er-Jahren wurden keine Zwangsarbeiter, sondern Fachkräfte
aus Deutschland und Italien angeheuert, für die man in der
Abgeschiedenheit der Berge sogar ein eigenes Bordell einrichtete.
Sie sollten nicht mit Einheimischen in Kontakt kommen und nichts
ausplaudern. Hitler selbst hielt sich als gebürtiger Innviertler nur
selten beim Kehlsteinhaus auf, weil er die ausgesetzte Lage im
Hochgebirge nicht mochte und auch Anschläge fürchtete.
Erholungszentrum der US-Armee
Nach der Befreiung der Region durch die US-Armee und einige
Soldaten Frankreichs gingen 1947 große Teile des Obersalzberges
ins Eigentum des Staates Bayern über. Die früheren
Besitzer erhielten ihre Gründe mehrheitlich nicht zurück. Die USA
behielten weiter Nutzungsrechte und errichteten in den ehemaligen
Wirtschaftsgebäuden von NSDAP und SS ein Erholungs- und
Wintersport-Zentrum für ihre in Deutschland stationierten Soldaten
samt deren Familien. Hier konnten auch Einheimische und Familien,
Schüler und Studenten aus dem nahen Salzburg günstig die Skilifte
benutzen. Der frühere „Platterhof“ mutierte bei den Amerikanern
zum „Hotel General Walker“. In der ehemaligen Offiziersmesse der
SS befand sich eine Rock-, Jazz- und Blues-Bar. Unter Präsident Bill
Clinton wurde im Jahr 2000 das Erholungszentrum der US-Armee
aufgelöst, sehr zum Missfallen vieler junger Leute in der Region.
Der Freistaat Bayern genehmigte wenig später den Bau eines
neuen Luxushotels, und 2005 eröffnete das „Interconti Resort
Berchtesgaden“, das heute das Landschaftsbild des Obersalzberges
dominiert. Opfer des nationalsozialistischen Regimes protestierten
gegen die ihrer Ansicht nach geschichtlose und zu kommerzielle
Nutzung des Areals.
Zeithistorische Schau
Tröstend ist für manche die Tatsache, dass 1999 ein Ausstellungszentrum
über die Geschichte des Ortes eröffnet wurde. Die
„Dokumentation Obersalzberg“ steht auf den Grundmauern von
Hitlers Gästehaus nicht weit vom neuen Luxushotel. Betreiber ist das
„Institut für Zeitgeschichte“ in München. Die Schau zeigt Details aus
der Alltags- und Regionalgeschichte während und nach der NS-Zeit,
aber auch über Planung und geopolitische Auswirkungen des
Zweiten Weltkrieges. Hier werden die Rollen Berchtesgadens und der
Region Salzburg als organisatorische Zentren eines Verbrechens, das
weite Teile der Menschheit betraf und betrifft, nicht ausgespart. (gl) |
|
|
Maik Kopleck: PastFinder Obersalzberg 1933–1945. Ortsführer zu den
Spuren der Vergangenheit. Berlin 2005. |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|